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Betreuungsrechtsreform

Mehr Selbstbestimmung für betreute Menschen ab 2023

In jedem von uns steckt der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben. Mit jeder Ent­scheidung, die wir treffen, können wir ein Stück wachsen und unser Selbstwertgefühl stärken. Mit Einführung des neuen Betreuungsgesetzes zum 1. Januar 2023 wird dieser Leitgedanke stärker in den Fokus der rechtlichen Betreuung gerückt. Die Reform zielt auf eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen.

In den letzten Jahren wurden von Verbänden und Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung Reformen des Betreuungsrechts gefordert. Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung hatte bereits 2015 festgestellt, dass das seit 1992 geltende, deutsche Betreuungsrecht mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar ist. Denn das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die mit Betreuung leben, wird durch das geltende Recht eingeschränkt. Vor allem, dass stellvertretende Entscheidungen für betreute Menschen betroffenen werden können, wurde vom UN-Fachausschuss bemängelt. Ein weiterer Kritikpunkt war die Option von Zwangsmaßnahmen als Ultima Ratio, zum Beispiel im Bereich der Psychiatrie. Zudem forderte der UN-Ausschuss Konzepte, um Menschen bei ihren eigenen Entscheidungsfindungsprozessen besser zu unterstützen. 

Vor der Verabschiedung des neuen Gesetzes am 5. März 2021 im Deutschen Bundestag hatte das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz viele Expert:innen von Verbänden und Interessensvertretungen von Menschen mit Behinderung, aus dem Betreuungswesen, der Wissenschaft und anderen Bereichen einbezogen. Forschungsvorhaben wurden in Auftrag gegeben, Fachgruppen gebildet und zahlreiche Stellungnahmen ausgewertet.

Die wichtigsten Inhalte der Reform im Überblick

Die Reform betont die Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis. Dies bedeutet, dass eine Betreuung nur angeordnet werden darf, wenn sämtliche sozialrechtlichen Hilfen nicht mehr aussichtsreich sind, um den Betroffenen ausreichend zu versorgen.

So bekommt die Betreuungsbehörde die Aufgabe der betroffenen Person zur Vermeidung der Betreuungseinrichtung ein Beratungs- und Unterstützungsangebot zu unterbreiten und mit deren Zustimmung geeignete Hilfen zu vermitteln. Neu eingeführt wurde die sogenannte "erweiterte Unterstützung" die weitere Unterstützungsmaßnahmen erfasst, um die Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers zu vermeiden.

Das Selbstbestimmungsrecht von betroffenen Personen soll gestärkt werden.  Diese werden stärker als bisher in allen Stadien eines Betreuungsverfahrens eingebunden und haben ein Recht auf Information sowie ein Mitspracherecht bei der gerichtlichen Entscheidung über das Ob und Wie der Bestellung einer Betreuerin oder eines Betreuers. Die Betroffenen sollen auch bei der Auswahl der Betreuerin oder des Betreuers ihre Vorstellungen einbringen können und hierbei so weit wie möglich in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf eine Betreuung nicht eingerichtet werden.

Die bestellten Betreuer:innen haben den Auftrag auf die Wiedererlangung der rechtlichen Handlungsfähigkeit des betreuten Menschen hinzuwirken. Dies bedeutet, die betreute Person nach Möglichkeit zu befähigen, ihre rechtlichen Angelegenheiten wieder selbst oder mit niederschwelliger Hilfe zu besorgen, letztlich auch mit dem Ziel, die Betreuung aufzuheben oder die Aufgabenkreise einzuschränken. Eine Methode hierfür ist die unterstützte Entscheidungsfindung.

Der Vorrang der Wünsche des betreuten Menschen ist als zentraler Maßstab jedes Handelns von Betreuer:innen und des Betreuungsverfahrens im Betreuungsrecht festgeschrieben. Unterstützung ist einem stellvertetenden Handeln grundsätzlich vorzuziehen. Das Mittel der rechtlichen Stellvertretung sollen die Betreuer:innen demnach nur dann einsetzen dürfen, wenn dies unbedingt erforderlich ist.

Zur Verbesserung des Informationsniveaus und der fachlichen Kenntnisse des Betreuungsrechts der ehrenamtlichen Betreuer:innen wird die Möglichkeit einer Anbindung an einen anerkannten Betreuungsverein sowie eine Begleitung und Unterstützung durch diesen neu eingeführt. Betreuungsvereine haben den Auftrag mit den ehrenamtlichen Betreuer:innen konkrete Vereinbarungen abzuschließen und  für diese geeigntete FortbildungsveranstaltungenErfahrungsaustausche und Beratungen anzubieten.

Durch einen Ausbau der gerichtlichen Kontrolle - in der Regel durch die zuständigen Rechtspflege:innen - sollen Pflichtwidrigkeiten der Betreuer:innen, die das Selbstbestimmungsrecht des betreuten Menschen beeinträchtigen, besser erkannt und gegebenenfalls auch sanktioniert werden können. Hierdurch und durch spezielle Kriterien für die Auswahl eines konkreten Betreuers oder Betreuerin soll ein höherer Qualitätsstandard der Betreuung erreicht werden.

Mit einem neu eingeführten formalen Registrierungsverfahren werden persönliche und fachliche Mindesteignungsvoraussetzungen für Berufsbetreuer:innen eingeführt. Es werden nur Personen im Betreuerregister registriert, die die erforderliche persönliche Eignung und Zuverlässigkeit sowie eine ausreichende Sachkunde für die Tätigkeit als rechtliche Betreuerin oder rechtlicher Betreuer besitzen.

Die Einführung des zeitlich befristeten Vertretungsrecht für Ehegatten in ärztlichen Akutsituationen verfolgt das Ziel vom Gericht angeordnete Eilbetreuungen zu vermeiden.